Neu beim Judo
Jana ist gespannt. Heute wird sie das erste Mal zum Judo gehen. Alle Kinder stehen im Flur bereit, da kommt auch schon der Trainer. Zunächst lernen sie die Begrüßung: Alle knien in einer Reihe dem Trainer gegenüber, sie verbeugen sich. Jana sitzt neben einem Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Sie lächelt. Sie scheint nett zu sein. In der Vorstellungsrunde erfährt sie ihren Namen: Aysche. Leider ist Aysche nach dem Unterricht ganz schnell weg und Jana kann sie nicht mehr ansprechen.
Freundinnen
Beim nächsten Training soll sich jeder eine Partnerin suchen, Aysche und Jana steuern aufeinander zu. „Gesucht und gefunden“ sagt Aysche. „Finde ich auch“, so Jana. Seitdem üben die beiden gemeinsam die Judowürfe - sie werden ein eingeschworenes Team. Nur doof, dass Aysche immer so früh nach dem Training nach Hause muss. Jana nimmt sich vor, Aysche danach zu fragen und lädt sie für das kommende Wochenende zu sich nach Hause ein. Ihr Vater hatte sowieso gefragt, ob sie nicht noch jemanden zum Grillen mitbringen möchte. Seitdem ihre Eltern nicht mehr zusammen leben, darf Jana am Wochenende meistens eine Freundin mitbringen „falls Papa mal arbeiten muss und damit es ihr nicht langweilig wird“.
Grillen bei Jana
Am Samstag sitzen sie dann in Papas Garten und das Fleisch duftet schon herrlich! Aysches Vater hatte sie hierher gebracht und darauf bestanden, dass er sie auch wieder abholt. Mitessen wollte er leider nicht. „Schade“, fand Jana, „dann hätten wir deinen Papa mal kennen gelernt.“
Aysche und Jana haben Hunger. Sie laden sich ordentlich von den Salaten auf und fangen schon mal an zu essen. Als Janas Vater dann das erste Nackenkotelett vom Grill nimmt und in Aysches Richtung guckt, winkt diese ab: „Nein. Tut mir Leid. Ich esse kein Schweinefleisch.“ Jana will wissen, warum. „Das ist bei uns so“, sagt Aysche. „Wieso“, hakt Jana nach, „seid ihr Vegetarier?“ „Ne, Muslime“ erwidert Aysche. „Unsere Religion verbietet Schweinefleisch, weil das nach unserem Glauben nicht rein ist.“
„Ach du Schande“, flucht Jana leise. „Da möchte ich doch kein Muslima sein. Wenn die nicht mal Fleisch essen dürfen…“ „Doch, doch.“ Janas Papa weiß mehr: „Jeder Glaube, jede Religion ist anders. Und jede Religion hat ihre eigenen Gesetze, die von jedem Andersgläubigen akzeptiert werden sollten.“
Religion und Respekt
Er setzt sich zu ihnen und beginnt zu erzählen: „Es ist wichtig, dass wir uns und unseren Glauben gegenseitig respektieren. Leider gibt es noch immer viele Menschen, die meinen, dass ihre Religion die einzig richtige ist. Das ist natürlich Unsinn. Jeder darf seinem eigenen Glauben nachgehen, wenn es auch meistens so ist, dass die Eltern die Religion vorgeben. Das gilt für Christen genauso wie für Muslime und alle anderen Gläubigen. Und im Islam gilt eben das Schweinefleisch als unrein, in Indien, wo viele Buddhisten leben, ist die Kuh heilig.
Das Recht, seine eigene Religion auszuüben, gilt leider nicht überall auf der Welt. Immer noch gibt es Länder, in denen Menschen verfolgt werden, weil sie einen anderen Glauben haben als es ihr Staat von ihnen verlangt.
Auch in Deutschland hat es früher Gesetze gegeben, die den Menschen vorgeschrieben haben, was sie glauben sollten. Heute darf keiner mehr wegen seiner Religionszugehörigkeit schlecht behandelt werden. So steht es im Grundgesetz, unserer Verfassung.“
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Jana und Aysche lauschen gespannt. Denn auch Aysche, die in Deutschland geboren wurde und in einer sogenannten westlich orientierten Familie aufwächst, weiß keine genauen Hintergründe. „Der beste Weg, Vorurteile auszuräumen, ist es“, so der Vater, „sich mit den Dingen zu beschäftigen. Das gilt auch für die Religion. Und da stellt man fest, dass es viele Unterschiede gibt zwischen den Religionen. Aber man erkennt auch, dass die Religionen eine Menge gemeinsam haben. Sagen die Juden „Schalom“, heißt das „Frieden“ und ein muslimischer Gruß ist „Salaam aleikum“, was soviel bedeutet wie „Frieden sei mit dir“. Auch wir Christen predigen: Liebe deinen Nächsten."
Naja. So genau wollten es Jana und Aysche gar nicht wissen. Aber eines wissen sie doch: Beim Judo und auch sonst wollen sie Freundinnen bleiben. Egal ob mit oder ohne Schweinefleisch.
Artikel 4 des Grundgesetzes
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.