Ausschlafen? Schön wärs...
Klack, klack. Wumms. Charly schreckt hoch. Oh, Mann. So früh am Morgen? Erst sechs Uhr. Dabei hat sie heute schulfrei. So’n Mist! Klack, klack. Wumms. Da ist es schon wieder. Sie späht aus dem Fenster. Wer macht da denn so einen Lärm?
Draußen sieht sie einen riesigen LKW vor dem Nachbarhaus. Ach ja. Der neue Nachbar. Heute will er einziehen. Naja, sie kann sich das Geschehen ja später noch mal angucken. Erstmal schlafen...
Eine Nachbarin mit geheimnisvollen Hauben
Um sieben tapert Charly verschlafen die Treppe runter. Bei dem Lärm war von Schlafen keine Rede mehr. „Guten Morgen“, dröhnt es ihr aus der Küche schon entgegen. Auch so ein Problem: Ihr Vater ist Frühaufsteher. Egal, ob in der Woche oder am Wochenende. Der sitzt morgens schon um halb sieben am Frühstückstisch und liest gutgelaunt die Zeitung. Charly brummt ein „Guten Morgen“ und klebt ihre Nase an die große Fensterscheibe. Von dort lässt sich das Geschehen bei den Nachbarn am besten beobachten. Komisch. Das Umzugsunternehmen lädt neben dem Sofa und den Gartenstühlen auch sehr merkwürdige sperrige Dinger aus. Noch mit Hauben versehen, werden diese Dinger in den Garten gestellt. „Hast du das gesehen?“ fragt sie ihren Vater. „Was?“ „Na, diese Dinger. Diese komischen Dinger.“ „Nö“, antwortet der Vater und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
Schade. Wenn es nach Charly gegangen wäre, dann würde im Nachbarhaus heute noch die alte Frau Meier wohnen. Sie und die alte Dame waren ein Herz und eine Seele. Immer wenn sie Kummer hatte, dann schlich sie sich kurz zu Frau Meier und erzählte ihr ihre Sorgen. Leider war ihr Mann vor zwei Jahren gestorben, seitdem wollte sie aus dem Haus raus. „Das Haus ist für mich alleine viel zu groß“, sagte sie. Und nun kam ein anderer. Mit komischen Hauben im Garten.
Der Kölner Dom im Garten nebenan
In der ersten Zeit nach dem Umzug hören und sehen sie die neuen Nachbarn nicht. Als Charly an einem Tag von der Schule nach Hause kommt, sind die Hauben ab. In Nachbars Garten stehen mannshohe Vogelhäuschen in Form von Kirchen. Eine erkennt sie: den Kölner Dom. Sie starrt die Kirchen an und just in diesem Augenblick steht ihr die neue Nachbarin gegenüber: „Ich bin Svenja. Und wer bist du?“ „Oh, äh, hm, also“, stottert Charly, „Charly. Ich wohne hier.“ Wie blöd. Das kann sie sich ja denken. Sie verschwindet schnell im Haus. „Wo kommst du denn so atemlos her?“, fragt ihr Papa. Sie antwortet nicht. Sie fragt: „Findest du die neuen Nachbarn nicht komisch?“ „Wieso?“ erwidert der Papa. „Na, weil die Vogelhäuser in Kirchenform haben und die dann auch noch in ihren Garten stellen. Die sind doch nicht ganz echt, oder?“ „Naja. Jeder nach seinem eigenen Geschmack“, belässt es der Papa damit.
Jeder Mensch ist anders - und hat ein Recht darauf
Am Nachmittag, als Charly sich für ihre Theater-AG umzieht, sagt ihr Vater: „Und? Siehst du? Wenn man dich jetzt so anguckt, dann könnte man auch meinen, du wärst ein komischer Mensch.“ „Ich? Wieso?“ Charly versteht kein Wort. „In deinem Kostüm siehst du aus, als wärst du aus dem Mittelalter“, so der Vater. „Ja, aber, ich treffe mich doch nur mit anderen AG-Schülern. Wir spielen den Froschkönig.“ „Ja, ja. Aber wissen das auch die anderen Leute?“ Charly kommt ins Grübeln. „Ja, nichts aber“, sagt ihr Papa. Genau das meine ich: Man muss die Menschen so nehmen wie sie sind. Jeder Jeck ist anders, sagt der Kölner. Überleg mal. Vielleicht meinen die neuen Nachbarn ja auch von dir, dass du nicht ganz richtig bist. Bei dem Outfit! Aber das ist eben das Schöne bei uns: Jeder ist anders als der andere und jede hat das Recht, so zu sein wie sie ist. Das steht sogar im Grundgesetz. Solange du mit deiner Besonderheit keinem auf die Füße trittst, kannst du deine Persönlichkeit frei entfalten. Ganz so wie es dir beliebt!“
Charly hat eine gute Idee
Charly denkt nach. Wo ihr Vater Recht hat, hat er Recht. Es wäre ja totlangweilig, wenn alle Menschen gleich wären. Alles grau in grau. Besonderheit macht das Leben erst bunt. Das, was der eine peinlich findet, findet die andere noch lange nicht peinlich. Und morgen wird sie ihre neuen Nachbarn fragen, ob sie sich die ganzen Vogelhäuschen mal gemeinsam mit ihrem Vater angucken darf.
Artikel 2 des Grundgesetzes
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.